Standpunkte

Heute sparen – morgen teuer bezahlen?

Fabio Abate
Ständerat, Mitglied Politikerteam FUTURE

Was haben Staaten wie die USA, China und Singapur mit unseren Nachbarn Deutschland und Frankreich gemeinsam? Ihre Investitionen in Bildung, Forschung und Innovation (BFI) steigen zurzeit von Jahr zu Jahr deutlich an. Diese Länder haben allesamt erkannt, dass der technologische Fortschritt nicht aufgehalten werden kann. Nur wer heute taktgebend in seine Bildungsstätten und Forschungszentren investiert, kann auch morgen noch an der Spitze des globalen Wettbewerbs mitspielen.

Mit der Beratung des Voranschlags 2019 dürfen auch wir entscheiden, wie viel Geld wir im nächsten Jahr in die Entwicklung des BFI-Standorts Schweiz investieren. Das Parlament hat vor zwei Jahren dafür einen Finanzrahmen festgelegt, der den grossen aktuellen Herausforderungen unseres Landes Rechnung trägt: Demografischer Wandel, Fachkräftemangel, digitale Transformation, medizinischer Fortschritt, Energie-Ressourcen oder Cyber-Sicherheit seien als Beispiele genannt. 
 
Gestützt darauf schlägt die Finanzkommission des Ständerates nun gezielte Budget-Korrekturen unter Berücksichtigung der effektiven Teuerung vor, damit der BFI-Platz Schweiz im 2019 nicht stagniert und im wissenschaftlichen Wettlauf keinesfalls abgehängt wird. Denn was wir heute an kleinen Beträgen einsparen, das müssten wir morgen vielleicht teuer bezahlen.
 

Den 25. November nicht verpassen!

Xavier Pilloud
Leiter der Geschäftsstelle des Netzwerks FUTURE

734 Millionen Franken. So hoch ist der geschätzte Schaden, den die Forschenden in der Schweiz infolge der Initiative gegen Masseneinwanderung und dem darauffolgenden teilweisen Ausschluss aus dem Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union (EU), Horizon 2020, erlitten. In einem interessanten Bericht lieferte das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation im September 2018 nun Zahlen, die den Befund der Wissenschaftsgemeinde seit dem 9. Februar 2014 belegen: Die 36-monatige Rechtsunsicherheit aufgrund offener Fragen zur Umsetzung der Initiative liess die Schweizer Beteiligung deutlich sinken – und zwar sowohl die Anzahl Projekte, die finanziellen Mittel als auch die Schweizer Koordinationen. Ein regelrechtes Gift für den Forschungsstandort Schweiz.

Fast fünf Jahre nach dem Ausschluss der Schweiz bestätigt sich also, dass die Schweizer Hochschulen und Forschungsinstitutionen nicht bloss den Teufel an die Wand gemalt haben – auch wenn sie es damals verpasst hatten, ihre Bedenken der Stimmbevölkerung zu Verstehen zu geben. Heute stehen wir kurz vor der Abstimmung über eine neue Vorlage, welche die internationale Verankerung der Schweiz bedroht – die Selbstbestimmungsinitiative. Die Erfahrungen im Bereich Bildung und Forschung können dabei als Beispiel dienen: Die Hochschulen und Forschungsinstitutionen haben nicht nur das Recht, sondern geradezu die Pflicht, die möglichen Konsequenzen dieser Abstimmung aufzuzeigen. Sie ist ein Risiko für die Erfüllung des Auftrags zur Exzellenz und zur internationalen Ausstrahlung, den die Akteure von Bund und Kantonen erhalten haben.
 
Würde die Selbstbestimmungsinitiative am 25. November 2018 von einer Mehrheit der Bevölkerung und der Kantone angenommen, könnten deren Unterstützer alsbald betonen, dass das Abkommen mit der EU über die Personenfreizügigkeit (FZA) und die Bundesverfassung nicht miteinander vereinbar sind. Dies gestützt darauf, dass letztere am 9. Februar 2014 mit einem Artikel ergänzt wurde, wonach die Zuwanderung von Ausländern in die Schweiz begrenzt werden soll. Die Befürworter könnten das FZA als Widerspruch mit der Verfassung auslegen und erneut dessen Kündigung fordern. Unter Anwendung der verhängnisvollen Guillotine-Klausel im Rahmen der «Bilateralen I» könnte das auch die Auflösung des Forschungsabkommens zur Folge haben.
 
Wenn die Initiative hingegen scheitert, wird für die Schweiz und ihre Hochschulen in der Europa-Debatte trotzdem noch keine Ruhe einkehren. In den letzten Wochen des Jahres 2018 könnte Bundesbern gegebenenfalls ein Rahmenabkommen zur Stabilisierung der bilateralen Verträge mit der EU abschliessen. Eine Einigung in Brüssel wäre aber noch kein Sieg, wie die bewegte Geschichte der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU seit 1992 verdeutlicht. Es gilt die Bevölkerung und die Kantone von der Notwendigkeit eines solchen Abkommens zu überzeugen, zumal die Schweizer Stimmbevölkerung in der Aussenpolitik ein grosses Mitspracherecht und somit oft auch das letzte Wort hat. Diese Mitsprache ist grossartig und der Hauptgrund, warum die Selbstbestimmungsinitiative völlig unnötig ist.
 
Eine weitere Schweizer Beteiligung an den europäischen Forschungs- und Bildungsprogrammen führt daher zwangsläufig über den Abstimmungstermin vom 25. November 2018.
 

Die Säulen des Erfolgs nicht schwächen

Andrea Gmür-Schönenberger
Nationalrätin, Mitglied Politikerteam FUTURE

Eine erfreuliche Nachricht erreicht Bundesbern unmittelbar nach der Sommerpause: Gemäss Hochrechnung dürfte der Bundeshaushalt im Jahr 2018 mit einem Überschuss von 2,3 Milliarden Franken abschliessen. Und auch im verabschiedeten Voranschlag 2019 wird mit einem Plus von 1,3 Milliarden gerechnet. Im gleichen Zug vollzieht der Bundesrat im Budget 2019 jedoch Sparmassnahmen, insbesondere bei Hochschulen, Forschungsinstitutionen und Berufsbildung.

Gegenüber den Finanzierungsbeschlüssen und inhaltlichen Planungen des Parlaments in der BFI-Botschaft 2017-2020 kürzt er deren Mittel im 2019 um rund 166 Millionen Franken.

Zweifellos, gesunde Bundesfinanzen sind wichtig für unser Land. Doch Milliardenüberschüsse zu erzielen und gleichzeitig bei der Bildung derart zu sparen ist nicht weitsichtig. Denn neben der Wahrung eines gesunden Finanzhaushalts ist es ebenso unsere Aufgabe, notwendige Investitionen in die Zukunft zu tätigen. Diese sind erforderlich für die Weiterentwicklung der Schweiz und für den Wohlstand heutiger und künftiger Generationen.

Bildung, Forschung und Innovation sind tragende Säulen des Schweizer Erfolgsmodells. Angesichts grosser aktueller Herausforderungen wie dem Fachkräftemangel oder der Digitalisierung dürfen wir diese Säulen nicht unnötig schwächen. Das Parlament hat es in der Hand, die übereifrigen Sparübungen des Bundesrats zu korrigieren. 

Qualität statt Quantität

Dr. Markus Zürcher
Generalsekretär der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften

Im Wettbewerb um Spitzenplätze im internationalen Forschungsranking dient der Impactfaktor von Publikationen als Standardwährung. Im Februar 2018 publizierte das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation einen Bericht, der zeigt, dass die Schweizer Publikationen in den Jahren 2011-2015 weltweit den dritthöchsten «Impact» erzielten. Was eine objektive Messung spiegelt, ist eine Konstruktion, welche die verschiedenen Wissenschaftsbereiche benachteiligt oder bevorteilt: Beachtet werden nur internationale Zeitschriften mit Referenzsprache Englisch.

Schwerer als der Bias wiegen die vom Impact Faktor ausgehenden Fehlanreize und negativen Folgen: So konstatieren wir ein kostenträchtiges exponentielles, überdies sinnloses Wachstum der Anzahl Publikationen, da mehr als 50% der Artikel nie zitiert werden. Auch nicht im Interesse des Erkenntnisgewinns ist, dass Ergebnisse segmentiert veröffentlicht werden, um den Impact Faktor zu erhöhen. Da alle in Zeitschriften mit hohem Impact Faktor publizieren wollen, verzögert sich die Veröffentlichung wichtiger Erkenntnisse. Relevante Ergebnisse in weniger renommierten Zeitschriften werden hingegen weniger beachtet. Nicht die Qualität des Artikels, sondern der Impact Faktor der Zeitschrift gilt.

Es ist an der Zeit, dass im universitären Feld Ergebnisse wieder debattiert und nicht gezählt werden, denn gerade auch für den Wissenschaftsbereich gilt das Gersham Law: «Work that produces measurable outcomes tends to drive out work that produces unmeasurable outcomes». Verdrängt wird im Wissenschaftssystem gegenwärtig das Lesen von Artikeln sowie deren kritische Prüfung und Diskussion.
 

Selbstbestimmungs- initiative gefährdet Wissensplatz Schweiz

Petra Studer
Koordinatorin Netzwerk FUTURE

Es war keine Überraschung, dass nach dem Ständerat auch der Nationalrat die Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter» (Selbstbestimmungsinitiative) mit 127 zu 67 Stimmen überaus deutlich abgelehnt hat. Die Initiative verlangt, dass zukünftig Volksbegehren, die eine Verfassungsänderung zur Folge haben, auch dann ungehindert umgesetzt werden können, wenn diese das Völkerrecht oder ein von der Schweiz eingegangenes internationales Abkommen verletzen. Völkerrechtliche Verträge, die der Verfassung widersprechen, müssten neu verhandelt oder gekündigt werden. Damit gefährdet die Selbstbestimmungsinitiative die Stabilität und die Verlässlichkeit der Schweiz und untergräbt die für unseren Wirtschaftsstandort unerlässliche Rechts- und Planungssicherheit.

Auch der Wissens- und Forschungsplatz Schweiz, dessen Erfolg nicht zuletzt auf seiner internationalen Vernetzung aufbaut, wird durch die Selbstbestimmungsinitiative bedroht. Zum einen könnte das Personenfreizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU betroffen sein; dieses ermöglicht unseren Hochschulen und Forschungsstätten den problemlosen Zugang zu hochqualifizierten Mitarbeitenden, Forscherinnen und Spezialisten. Zum anderen wissen wir, dass bei einer Kündigung des Freizügigkeitsabkommens aufgrund der Guillotine-Klausel der «Bilateralen I» auch das Forschungsabkommen hinfällig werden könnte; dieses Abkommen ist seit 1999 die Grundlage für eine vollständige Beteiligung der Schweiz an den Forschungsrahmenprogrammen der EU. Was ein Ausschluss aus den EU-Forschungsprogrammen bedeutet, das haben die Schweizer Hochschulen und Forschungsinstitutionen im Jahr 2014 infolge der Annahme der «Masseneinwanderungsinitiative» (MEI) bereits schmerzlich erfahren. Das Problem des vorübergehend verwehrten Zugangs wurde aufgrund der Unsicherheit bezüglich der zukünftigen Entwicklung noch verstärkt: Forschende aus der Schweiz wurden nicht mehr als verlässliche Partner betrachtet, was der Reputation unserer Institutionen schadete. Bei einer Annahme der Selbstbestimmungsinitiative können die längerfristigen Auswirkungen auf den Wissensplatz Schweiz zwar noch nicht im Detail vorausgesagt werden; die neue Unsicherheit würde aber unweigerlich zu einem weiteren Reputationsverlust innerhalb der internationalen Forschungs-Community führen.  

Auch die MEI wurde im Parlament von allen Parteien ausser der SVP abgelehnt und im Abstimmungskampf von einer breiten Koalition bekämpft; und trotzdem wurde sie ganz knapp angenommen. Im Hinblick auf die Volksabstimmung über die Selbstbestimmungsinitiative vom 25. November 2018 zeichnet sich eine ähnliche Konstellation ab. Die Vertreterinnen und Vertreter von Wissenschaft und Forschung sind somit aufgerufen, die gefährlichen Konsequenzen für den Wissensplatz Schweiz auch einer breiten Bevölkerung zu erklären.
 

Bildung im Dienst der Bevölkerung

Jacques-André Maire
Nationalrat, Vorstandsmitglied Politikerteam FUTURE

Wenn es eine Politik gibt, die der gesamten Bevölkerung dient, dann ist es die Bildungspolitik. Die Schweizer Gemeinden und Kantone erfüllen in diesem Bereich den grössten Teil der Aufgaben. Der Bund setzt jedoch wichtige Anreize, insbesondere mit der Botschaft zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation (BFI-Botschaft).

Alle Akteure im Bereich Bildung, Forschung und Innovation beginnen zum jetzigen Zeitpunkt mit der Planung ihrer Schwerpunkte für die BFI-Periode 2021-2024. Dabei müssen sie ihre eigenen Ziele sowie die Bedürfnisse von Wirtschaft und Gesellschaft berücksichtigen. Es ist daher zu hoffen, dass die BFI-Botschaft 2021-2024 eine kohärente Strategie liefern wird, um die Herausforderungen der Digitalisierung in Angriff zu nehmen.
 
Kohärenz – das ist das Stichwort! Wie auch immer die Prioritäten der einzelnen Akteure aus Hochschul-, Berufs- und Weiterbildung aussehen mögen – das Parlament erwartet von ihnen ein gemeinsames Konzept, das von allen mitgetragen wird. In der Vorbereitung der BFI-Botschaft 2017-2020 setzten sich die akademischen Institutionen und die Verantwortlichen der Berufsbildung geschlossen für die Verbesserung des Schweizer Bildungssystems als Ganzes ein. Im Interesse einer Bildungspolitik im Dienst der gesamten Bevölkerung gilt es diese Partnerschaft nun zu erneuern und zu erweitern.
 

Chance für Open Access nutzen

Prof. Dr. Matthias Egger
Präsident des Nationalen Forschungsrats des SNF

Die Wissenschaft ist der beste Weg, um systematisch neue Erkenntnisse zu gewinnen. Deswegen fördert die öffentliche Hand die Forschung mit grossem Aufwand. Diesem Aufwand sollte ein grösstmöglicher Nutzen für die Gesellschaft und die Wirtschaft gegenüberstehen. Open Access, also der kostenlose und ungehinderte Zugang zu Publikationen, die aus öffentlich finanzierter Forschung hervorgehen, trägt erheblich dazu bei.

Aktuell sind nur etwa 30 Prozent aller Artikel, die von Forschenden in der Schweiz verfasst werden, frei im Internet verfügbar. Das obwohl die Forschenden Open Access publizieren möchten. Der Schweizerische Nationalfonds, die Hochschulen und andere Partner unterstützen sie dabei. Leider fehlt den Forschenden heute ein unabdingbares Recht, ihre Arbeiten nach der Veröffentlichung bei einem Verlag und nach Ablauf einer angemessenen Frist ein zweites Mal und für alle frei zu publizieren das Zweitveröffentlichungsrecht.

Die aktuelle Revision des Urheberrechts enthält viele positive Neuerungen für die Wissenschaft, zum Beispiel ein Artikel zum Text- und Data-Mining. Die Revision bietet zusätzlich Gelegenheit, für öffentlich finanzierte Forschung ein Zweitveröffentlichungsrecht im Obligationenrecht zu verankern. Dort wird schon heute das Verhältnis zwischen Autorinnen und Autoren und Verlagen geregelt und es ist nur eine Anpassung nötig. Diese würde den Zugang zu den Ergebnissen Schweizer Forschender nicht nur für Interessierte und die Öffentlichkeit erheblich vereinfachen, sondern den Forschungsplatz Schweiz insgesamt vorwärts bringen.

Langfristiges Denken statt Schnellschüsse

Christine Bulliard-Marbach
Nationalrätin, Präsidentin der WBK-N

Die Digitalisierung ist das Thema der Stunde. In ungekanntem Tempo durchdringen neue Technologien unsere Arbeitswelt. Apps, Roboter und Algorithmen machen vor keiner Branche Halt. Der digitale Wandel wirkt sich auch stark auf Bildung, Forschung und Innovation aus.

Immer wieder werden Investitionen zur Bewältigung des digitalen Wandels gefordert. Doch vergessen wir nicht, wie viel im BFI-Bereich bereits passiert. Die Förderung der digitalen Wissenschaften ist ein Schwerpunkt der aktuellen BFI-Botschaft 2017-2020; erst vor einem Jahr eröffneten die beiden ETH ein nationales Zentrum für Datenwissenschaften. In der Bildung laufen seit Jahren Projekte zur Förderung der MINT-Fächer. Auch die Entwicklungen im Bereich Open Access sind Antworten auf die Digitalisierung.

 
Die Herausforderungen des digitalen Wandels müssen in der künftigen BFI-Politik unbedingt ein Schwerpunkt sein. Insbesondere bei der Cyber-Sicherheit braucht es Fortschritte, aber auch die Folgen der Digitalisierung auf den Alltag der Menschen und das Arbeitsleben müssen wir genauer untersuchen. Gefragt sind gezielte und langfristige Investitionen. Kurzfristige Finanzspritzen oder neue Pläne ohne finanzielle Mittel machen hingegen keinen Sinn, wenn trotz Milliardenüberschüssen Jahr für Jahr bei den Grundbeiträgen für Bildung und Forschung gespart wird.